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Die Dunkle Nacht der Seele

    Depression oder eine Phase des Aufwachens?

    Was ist die dunkle Nacht der Seele eigentlich und wie zeigt sie sich? Ich halte sie für eine spirituelle Krise auf dem Weg zum Aufwachen aus den Trancen des Alltags und aus der Illusion, man hätte sein Leben irgendwie unter Kontrolle. Diese plötzliche Erkenntnis, die man nicht mehr loswird, ähnelt dem Schock, den Neo in der Matrix erleiden musste, nachdem er die rote Pille genommen hat.
    Manchmal wird der Begriff auch metaphorisch für Depressionen verwendet, und tatsächlich können während dieser dunklen Nacht der Seele sogar Suizid-Gedanken aufkommen. Ursprünglich geht der Begriff auf Johannes vom Kreuz zurück, der im Kerker saß und sich von Gott und der Welt velassen fühlte.

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    Einleitung

    Was ist also mit der so genannten „dunklen Nacht der Seele“ gemeint? Einerseits spricht man hin und wieder metaphorisch von der „dunklen Nacht der Seele“ und meint damit in der Regel eine depressive Episode.
    Aber es bezeichnet auch und vor allem eine Phase während des spirituellen Erwachens, die oft – aber nicht immer – und unterschiedlich intensiv stattfindet.
    Ursprünglich stammt der Begriff von Johannes vom Kreuz. Es war für ihn die dunkle Nacht im Kerker, in der er sich ein Jahr lang allein, gedemütigt und von Gott verlassen fühlte. In diesem Zusammenhang wird der Bezug zur Spiritualität schon deutlich.
    Ein Freund von mir hat es mal als „Trauer des Erwachens“ bezeichnet.

    Trauer des Erwachens

    Diese Trauer ist mir auch bekannt. Für mich fühlte sie sich an wie eine Enttäuschung. Es gab dieses große Versprechen, die Welt könnte mich glücklich machen. Also habe ich nach glückbringenden Erfahrungen gesucht: Schöne, interessante Sachen, Erfahrungen in Beziehungen, Reisen. Aber alles Glück, das von außen kommt, ist naturgemäß vergänglich. Und irgendwie ist das ja auch gut so, weil das Unglück und die Schmerzen, die von außen kommen, damit auch vorbeigehen. Es gibt dort nichts Ewiges, keine bleibenden Werte. Für mich ist diese Trauer, die er meinte, das Ende einer Täuschung. In erster Linie gar nicht einmal so sehr über den Verlust der Dinge, sondern eher der Verlust der Person, mit der ich mich identifiziert habe und das Ende der Hoffnung, etwas Bleibendes in diesem Spiel zu finden. Es ist aber nur eine Übergangsphase. Das Ende des Narzissmus, das Ende von so vielem.
    Aber eigentlich ist es gar kein richtiges Ende, es ist nur ein Zurechtrücken der Perspektive, denn das Spiel geht ja weiter. Und man behält die Freiheit, wann immer man möchte, wieder in die Trance der Person zurückzukehren. Aber wahrscheinlich löst man sich nie mehr wieder so ganz in ihr auf, zumindest nicht mehr dauerhaft. Wichtig ist aber, was nach der Trauer – bzw. der „dunklen Nacht der Seele“ kommt: Es ist der Beginn von etwas Ewigem, sehr Lebendigem – eine unendliche Weite und der tiefe innere Frieden. Er wird auch „Shanti“ genannt.

    Sinn des Lebens

    Aber gehen wir nochmal einen Schritt zurück. Wenn sich die „dunkle Nacht der Seele“ wie eine Depression anfühlt, dann geht es nicht nur um Traurigkeit. Es geht darum, dass vieles, was man zuvor als Sinn seines Lebens definiert hatte, nun weggefallen ist. Die eigene Person erscheint ohne Wert. Das wären ja auch typische Begleiterscheinungen einer echten Depression, die Sinn- und Wertlosigkeit.
    Aber welchen Sinn hat denn mein Leben und ist meine Person überhaupt etwas wert?
    Bevor du im spirituellen Sinne wach geworden bist, bekommt dein Leben seinen Sinn mehr oder weniger automatisch von außen. Dann ist der Sinn deines Lebens deine Familie, deine Arbeit, deine Karriere, ein guter Christ zu sein oder das Befüllen deines Bankkontos – je nach dem, was dir deine Eltern, deine Lehrer oder dein Pfarrer so beigebracht haben. Irgendwann erkennst du dann, dass du nicht die Person bist, für die dich alle halten, noch nicht einmal die Person, für die du dich bisher selbst gehalten hast.

    Die Person

    Die Person: das ist diese Mischung oder Ansammlung von Rollen, die du dir angewöhnt hast, im Leben zu spielen. Jedem zeigst du ein etwas anderes Gesicht. Deinem Partner gegenüber bist du jemand anderes als deinen Kollegen oder deinen Freunden gegenüber. Wahrscheinlich bemerkst du hin und wieder, dass du in bestimmten Situationen nur eine Rolle spielst. Bei anderen Gelegenheiten identifizierst du dich mit der Rolle, die du gerade verkörperst.
    Aber – wie gesagt – irgendwann stellst du fest, dass du das alles gar nicht bist. Du spielst es oder verkörperst eine Rolle, von der du zum Beispiel glaubst, dass die anderen sie so erwarten. Das geschieht ganz unbewusst. Interessanterweise können diese Rollen ganz widersprüchlich sein, aber dennoch fühlst du dich in jeder von ihnen mehr oder weniger zuhause.
    Diese Rollen sind Mittel zum Zweck. Du willst ja etwas erreichen. Und auf diese Weise ergibt sich so etwas wie Sinn. Der Zweck, den du verfolgst, gibt deinem Leben eine Richtung – bewusst oder unbewusst. Denn Sinn bedeutet ja auch „Richtung“, wie in „Uhrzeigersinn“.

    Sinnkrise durch den Wegfall der Person

    Es gibt unterschiedliche Konzepte über diese Art der Sinnkrise. Vor Kurzem habe ich zum Beispiel gelesen, dass (sinngemäß) „in der dunklen Nacht unsere Seele weint, weil sie durch die Hölle muss, um zu uns durchzudringen“. Und diese Hölle sei die Person, also das Ego, das überwunden werden muss.
    Ich habe noch nie etwas von einer Seele vernommen, die zu mir zu kommen versucht, die also unterschiedlich von mir ist. Ich weiß nicht, was das ist. Und ich denke, dass es sich dabei um ein frei erfundenes Konzept handelt. Wenn ich die Seele selbst bin, dann habe ich keine und dann versucht die auch nicht zu mir zu kommen, weil ich ja schon identisch mit ihr bin. Wenn du mir erklären kannst, was die Seele ist, schreibe es mir bitte in die Kommentare oder per E-Mail. Für mich klingt es jedenfalls leichter verständlich, wenn man es wie folgt erklärt:
    Wenn dann nämlich die Person, die du geworden bist, und mit ihr die dazu gehörenden Rollen wegfallen, bleibt nichts mehr übrig. Wenn du erkennst, dass die Person, für die du dich bisher gehalten hast, niemals wirklich als etwas Eigenständiges existiert hat, dann fallen auch alle mit ihr verbundenen Ziele weg. Nichts von dem hat plötzlich noch eine wesentliche Bedeutung. Und wenn dann der Sinn wegfällt, fällt damit gleichzeitig auch das weg, durch das du geglaubt hast, es würde deinen Wert ausmachen: All die Dinge, die du in der Zwischenzeit angehäuft hast, die Titel und Abschlüsse, die Fertigkeiten. All das ist noch da, aber seine Bedeutung ist nur noch minimal.

    Tod des Egos

    Deshalb fallen viele, die zu einem gewissen Grad aufwachen, in eine Sinnkrise. Und das ist diese ominöse „dunkle Nacht der Seele“. Manche sprechen in diesem Zusammenhang auch vom Tod des Egos. Ich glaube nicht, dass das Ego wirklich stirbt. Der Unterschied ist nur, welche Konzepte man so im Kopf hat. Für mich ist dieses Ego etwas Wertvolles. Es enthält oder besteht aus einer Reihe von Funktionen, die von uns im Laufe des Lebens mit Inhalten befüllt werden. Im Wesentlichen geht es dem Ego darum, das Selbstbild aufrecht zu erhalten. Es wählt automatisch die der Situation angemessene Persönlichkeits-Rolle aus und definiert die entsprechenden Reaktionen. Das Ego ist zu einem Teil unbewusst und zu einem Teil „vorbewusst“.
    Vorbewusst bedeutet, dass man die abgespeicherten Muster zwar nicht bewusst kennt. Aber dass man sie gleich wiedererkennt, sobald sie sich zeigen. Dazu gehören unsere Glaubenssätze, Erwartungshaltungen und Identitäten. Das Ego verleiht uns Sicherheit, indem es die Illusion von Kontrolle über unser Leben aufrechterhält.

    Wegfall der Muster

    All diese Funktionen und Muster bleiben – zumindest vorerst – erhalten, auch wenn man aufwacht. Aber sie bestimmen immer weniger das Leben. Und dann beginnen sie auch, sich langsam zu verändern. Das ist ein Prozess, der über Monate oder Jahre geht.
    In der „dunklen Nacht der Seele“ entsteht aus diesem Grund das Gefühl von Unsicherheit. Du fühlst dich wie im luftleeren Raum, nichts ergibt mehr Sinn, die Kontrolle ist mehr oder weniger weg. Man kann sich enttäuscht vom Leben fühlen, wie ich es anfangs beschrieben habe.
    Es passiert nicht selten, dass sich die Menschen in so einer Phase ängstlich oder deprimiert fühlen. Viele verlieren ihre Wachheit dann wieder, weil sie in die alte Gewissheit und vermeintliche Stabilität zurückkehren wollen. Nichts ist verständlicher als das.

    Suizid-Gedanken

    Das ist auch die Phase, in der – je nach Veranlagung – Suizid-Gedanken aufkeimen können. Mit der Erkenntnis, dass all das hier, alle erreichten Erfolge, alle angesammelten Güter, der ganze Ruhm und Glanz, nur eine Illusion und Popanz ist, entsteht eine Leere, die so unangenehm ist, dass man sich fragt, ob es nicht sinnvoller wäre, die physische Realität ganz zu verlassen. Denn das Leben bleibt ja in gewisser Weise trotzdem erst einmal anstrengend. Der Spaß, den du bisher hattest, empfindest du nur noch als eine billige Ablenkung ohne nachhaltigen Wert. Du stehst sozusagen nackt da, ohne echte Perspektive auf eine neue Stabilität. Wenn das nicht deprimierend klingt, weiß ich es auch nicht. Aber dem Leben fällt schon etwas ein. Als wollte es dich prüfen, wird es dir ausreichend „Übungsmaterial“ zur Verfügung stellen: du wirst weitere Verluste erleiden, immer wieder in Situationen kommen, in denen du dein Selbstbild beschämt – zumindest nach den alten Wertvorstellungen – hinterfragen musst. Dir wird klar, dass du, so wie du dich bisher gesehen hast, keinen Wert hast. Eigentlich hast du bisher nicht einmal existiert, du wirst dir sogar selbst in gewisser Weise fremd.

    Spirituelle Krise

    Wenn das alles zutrifft, bist du in einer echten spirituellen Krise. Diejenigen, die versuchen, wieder einzuschlafen, es aber nicht schaffen, laufen Gefahr, Trost in Alkohol, in Drogen, in Sekten oder esoterischen Irrlehren zu suchen. Aber all das sind nur Umwege.
    Ich finde es sehr verständlich, wenn man unter solchen Umständen daran denkt, seinem Leben ein Ende zu setzen. Die Fantasie ist: Dann habe ich endlich meinen Frieden. Dann ist Ruhe. Dann ist da das ewige Nichts, in dem sich alles auflöst. Dann ist es egal, ob ich einen Wert habe oder nicht.
    Andererseits weißt du, dass Suizid keine Lösung ist – weil man damit nämlich nichts erreicht, schon gar nicht das vollständige Aufwachen. Es ist nur die Illusion, tiefstmöglich zu schlafen. Aber außer für den Körper gibt es keinen Tod.
    Die Phase ist – wie gesagt – vorübergehend und auch kein Pflichtprogramm. Nicht jeder muss sie so heftig durchleiden. Manch einer findet seinen Weg allein. Wahrscheinlich wirst du jemanden finden, der diesen Weg bereits gegangen ist und dir dabei hilft, die nun folgenden Schritte zur Weiterentwicklung zu gehen. Tatsächlich ist es etwas Arbeit und streckenweise sogar mühsam und ein bisschen schmerzhaft.
    Am Ende steht aber der innere Frieden, das völlige Eins-Sein mit allem, was ist und das könnte man als „Wonne“ oder „Seligkeit“ bezeichnen. Auch schon vorher wird sich diese Verbundenheit, diese Gelassenheit immer wieder zeigen.

    Immer wieder neue Aufgaben

    Aber das Leben gibt dir auch weiterhin immer wieder neue Aufgaben, damit es dir nicht langweilig wird. Das Leben geht ja weiter. Nach und nach offenbart sich dann der neue Sinn. Dann zeigt sich auch dein Wert, aber, so viel sei verraten, es ist nicht der Wert von früher.
    Das sind aber alles nur Worte. Sie sind nur Konzepte und sozusagen Futter für das Denken. Auf dieser Ebene von spekulativen oder philosophischen Erwägungen haben sie nur den Sinn, als Fingerzeig zu dienen. Nicht das Reden bestimmt Sinn und Wert, sondern ausschließlich das Sein.

    Was ist Aufwachen?

    Aber was muss man tun, und was geschieht genau? Aufwachen heißt, die ganzen Illusionen und Trancen hinter sich zu lassen und der zu werden, der du bist. Das ist keine intellektuelle Leistung. Für die meisten ist es ein langwieriger Prozess. Du kannst diese Worte hundertmal hören oder lesen, und es nützt dir gar nichts. Aber nachdem du die ersten Erkenntnisse hattest, musst du dranbleiben.
    Es sind nur wenige, die die Sinnlosigkeit, Leere, Unsicherheit und den Kontrollverlust während der „dunklen Nacht der Seele“ wirklich genießen können. Aber in dieser Phase lösen sich entweder vollständig von allein oder durch aktives Üben (was eher die Regel ist) Muster um Muster deiner alten Persönlichkeit auf. Dafür brauchst du etwas Geduld und auch etwas Glauben.

    Die Trauer geht vorüber

    Die Trauer, von der ich sprach, ist vorübergehend, und sie ist ein Rest des Egos, das sich nach der „blauen Pille“ sehnt, falls du den Film „die Matrix“ kennst. Es möchte zurückkehren in eine Welt, in der es seine Existenz – die aber nur Fantasie ist – wiederbekommt.
    Die Trauer in der Dunkelheit ist nur einer von tausend Kniffen, die das Ego bereithält, um dich zurückzuholen in die Trance der unerfüllbaren Verheißungen. Aber hinter der Fassade befindet sich eine unverheißbare Erfüllung.

    Ende

    Mit diesem Wortspiel möchte ich mich für heute verabschieden und wünsche dir, dass du gut durch jede Nacht kommst, egal wie dunkel sie auch sein mag. Alles Gute und bis zum nächsten Ma