Ängste und wie man sie verliert? Angst macht dumm und manipulierbar. Werde deshalb lieber der, der du bist. Dann haben die Ängste keine Chance. Vor allem aber sorge dich nicht um die Zukunft. Der heutige Tag hat schon genügend Herausforderungen zu bieten, um die man sich kümmern muss. Das Morgen sorgt sich um sich selbst. Das kommt dir bekannt vor?
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Ängste – Einleitung
„Fürchte dich nicht!“, sagte der Engel, als er Maria erschien. Ob man an Engel glaubt oder nicht, spielt keine Rolle. Denn jeder weiß, dass Menschen von Natur aus ängstlich sind, und dass sie sich bei ungewöhnlichen Erscheinungen schnell erschrecken. Der Engel – oder eben der Autor des biblischen Textes – hat der Furcht also mit gutem Grund vorgegriffen.
Deshalb muss ich wohl ein wenig zurückrudern: Ganz wirst du deine Ängste sicherlich nicht verlieren, aber das ist wahrscheinlich auch gut so. Aber wenn vor allem die unnötigen und irrationalen Ängste verschwinden könnten, hätte man vermutlich kein schlechteres Leben.
Angst essen Seele auf
Gerade habe ich den Satz gelesen: „Nicht Geld regiert die Welt, sondern die Angst.“ Ich weiß nicht, woher der Satz stammt. Aber in dem Moment erinnerte mich daran, dass ich schon vor längerer Zeit gebeten worden bin, eine Podcast-Folge zum Thema Angst zu machen. Weil es ein großes Thema ist, werde ich zu bestimmten Ängsten sicher noch eine oder zwei weitere Folgen machen.
Es gibt noch eine Reihe anderer Zitate über die Angst. Zum Beispiel: „Angst essen Seele auf“, der Titel eines 1974 erstaufgeführten Films von Rainer Werner Fassbinder über die Ausländerproblematik. Der Titel ist schon zu einem geflügelten Wort geworden und ist sicherlich bekannter als das dazugehörige filmische Drama. Aus irgendeinem Grund hatte ich gedacht, es wäre ein afrikanisches Sprichwort. Vielleicht wird es in dem Film so behauptet. Jedenfalls ist der Satz unmittelbar einleuchtend. Eine Begleiterscheinung von Angst ist, dass das vernünftige Denken aussetzt – oder zumindest deutlich erschwert wird. Jeder, der schonmal vor lauter Angst so einen Aussetzer in einer Prüfung hatte, kann das sicher bestätigen. Wenn die Angst die Seele aufisst, dann heißt das, dass die Angst verhindert, dass du du selbst bist.
Man sagt ja auch: „Angst ist kein guter Ratgeber.“ Ich bin da nicht vollständig anderer Meinung, aber ich sage: „Angst ist überhaupt kein Ratgeber.“ Denn Angst macht dumm.
Man kann Menschen leichter kontrollieren, wenn man es schafft, ihnen Angst zu machen – also ihre Kritikfähigkeit zu drosseln. Frei denkende Menschen sind hingegen viel schwerer zu manipulieren. Warum das so ist, ahnst du wahrscheinlich schon.
Man muss sich damit abfinden, dass Angst seit jeher in unserer Natur liegt. Die Menschen, die vor gar nichts Angst hatten, haben ihre Gene an die nachfolgenden Generationen nicht so erfolgreich weitergegeben wie die anderen. In der Evolution haben allem Anschein nach die Angsthasen gewonnen.
Angst im Gehirn
Im Folgenden spreche ich nicht von der natürlichen, kurzen und vorübergehenden Angst, die verständlicherweise dann aufkommt, wenn man zum Beispiel von einem aggressiven, zähnefletschenden Hund angebellt wird. Ich meine jetzt diese irrationalen Ängste – die uns verfolgen – die immer wieder hochkommen, obwohl im Moment gar keine akute Gefahr vorhanden ist.
Da kann der Engel reden, soviel er mag. Vielleicht haben seine Worte Maria und die Hirten ein bisschen beruhigt. Aber wenn ich an meine Erfahrungen aus der Therapie denke, habe ich ein paar Zweifel. Denn wenn der Satz „fürchte dich nicht“ wirklich gegen die Angst helfen würde, bräuchte niemand eine Therapie gegen Angststörungen. So einfach ist es leider nicht. Man kann sozusagen mit Engelszungen reden, aber nur Worte allein, die den Kopf ansprechen, helfen so gut wie gar nichts, zumal der Kopf ja – wie bereits angedeutet – in der Angst gar nicht vollständig online ist.
Man kann das Ganze mal aus der Sicht der Hirnforschung betrachten. Die Angst kommt zwar aus dem Kopf, aber von einer Stelle, die dem willentlichen Denken und den bewussten Entscheidungen nicht direkt unterliegt. Sicherlich hast du schon von der Amygdala, dem so genannten Mandelkern, gehört. Ich will dich nicht unnötig mit der Gehirnphysiologie langweilen. Aber von dort – so sagt es die Wissenschaft – kommt allem Anschein nach (unter anderem) die Angst. Die Amygdala befindet sich unterhalb der Bewusstseinsschwelle, und das aus gutem Grund. Denn, wenn eine gefährliche Situation entsteht, muss die Angst schnell sein, damit sie uns schützen kann. Die körperlichen Reaktionen müssen sofort zur Verfügung stehen und sollen nicht erst intellektuell sorgsam erwogen werden. Das ergibt auf jeden Fall Sinn, falls wirklich eine Gefahr vorhanden ist. Es bleibt die Tatsache übrig, dass gutes Zureden deshalb fast gar nicht gegen die Angst hilft.
Ich muss dir auch die Angst nicht erklären, weil du sie – wie jeder andere – schon gut kennst. Sie ist ein ekelhafter Zustand. Man fühlt sich ziemlich ausgeliefert. Die Aufmerksamkeit ist auf das Angstmachende ausgerichtet, man traut sich auch nicht recht, sich abzuwenden. Selbst wenn die Angst nur diffus ist und kein benennbares Objekt zu haben scheint, möchte man sie beinahe unablässig beobachten. Denn ansonsten könnte alles außer Kontrolle geraten. Besonders hinterhältig ist die Angst vor der Angst. Wie ein hypnotisiertes Kaninchen schaut man der – in diesem Fall nur – fiktiven Schlange in die Augen. Man kann kaum an etwas anderes denken.
Aber was kannst du jetzt machen?
Reaktivierung und Abwehr der Angst
Falls du in den letzten Minuten genau zugehört hast, dann wird sich vielleicht der Effekt eingestellt haben, dass du wieder etwas von deiner Angst im Körper fühlst, sobald du an sie denkst. … Druck auf der Brust, Kloß im Hals, Herzklopfen, trockener Mund oder etwas Ähnliches. Oft reicht es nämlich schon, nur an die Angst zu denken, um sie zu reaktivieren.
Um zu verstehen, was du nun gegen die Angst zuverlässig tun kannst, musst du verstehen, was für ein Bewusstseinszustand das überhaupt ist. … Es handelt sich um ein eingeengtes Bewusstsein. Das Kaninchen, von dem ich sprach, ist hypnotisiert, aber nicht auf eine positive, befreiende Weise, wie man es aus der Hypnotherapie kennt. Man könnte die Angst als eine Art abscheulichen Trancezustand bezeichnen.
Und da haben wir auch schon den Grund dafür, warum die Angst die Seele aufzuessen scheint und warum dich die Angst manipulierbar macht. Wer in Trance ist, denkt nicht mehr kritisch – das heißt, er wägt nicht mehr das Für und Wider ab und sieht die Realität nicht mehr klar.
Um dort herauszukommen, muss man also dasselbe tun, wie wenn man aus der Hypnose zurückkehrt. Man muss sich die physische Realität im gegenwärtigen Moment bewusst machen. Manche Therapeuten empfehlen ihren Patienten, die Dinge in ihrer Umgebung wahrzunehmen und zu benennen: Tisch, Tasse, Regal, Uhr, Tür, rot, grün und so weiter. Das holt einen zurück in die Gegenwart. Es ist tatsächlich eine gute Möglichkeit, um die Angst zurückzudrängen. Damit ist natürlich die Ursache noch nicht behoben. Aber es kann dennoch einen günstigen Effekt auf die Angstabwehr haben.
Die Angst ist ein Muster, das bei bestimmten Auslösern aktiviert wird. Zum Beispiel: Der Hypochonder erinnert sich an seine Angst, wenn er von Krankheiten anderer Leute hört. Wer Angst vor Behörden hat, zum Beispiel dem Finanzamt, vermeidet es, im Briefkasten nachzuschauen, ob Post gekommen ist.
Jede wiederholte Aktivierung erhält das Muster am Leben und verfestigt es. Aber wenn du das Muster unterbrichst, schwächst du es mit der Zeit ab. Um die Angst auf diese Weise zu vermindern, brauchst du zwar einen langen Atem und Geduld, aber es kann gut gelingen.
So hilft es etwa, die Gedanken dadurch zu unterbrechen, dass man sich die Gegenwart bewusst macht. Ich persönlich hole mich in die Gegenwart zurück, indem ich meine Aufmerksamkeit auf den Atem richte und diesen ganz leicht verändere. Nach und nach schaltet sich der Frontalkortex wieder ein. Das ist der Bereich im Gehirn, in dem Gedächtnisinhalte bewusst einbezogen und vernunftgesteuerte Entscheidungen getroffen werden.
Atmen gegen die Angst
Du kannst es gleich einmal ausprobieren. Falls du gerade etwas gestresst bist, wirst du sicher zumindest einen kleinen Unterschied wahrnehmen. Für diese simple Übung schließe die Augen ein wenig, so dass sie einen Spaltbreit geöffnet bleiben. … Lege die Hände für einen Moment in den Schoß … und richte deine Aufmerksamkeit auf den Atem. … Du musst jetzt nichts weiter tun, als das Ausatmen um einige Sekunden zu verlängern. Wenn man ängstlich und gestresst ist, atmet man für gewöhnlich nicht gescheit. Man neigt dazu, nach dem Einatmen den Atem zurückzuhalten. Also versuche, etwas mehr Gewicht auf das Ausatmen zu legen. Aber natürlich nicht den letzten Milliliter Luft herauspressen! Mit dem verlängerten Ausatmen signalisierst du deinem Körper, dass du entspannt bist und es keine Gefahr gibt.
Du aktivierst damit deinen Parasympathikus, einen wichtigen Teil deines vegetativen Nervensystems, der für Entspannung und Erholung zuständig ist. Nachher schildere ich dir noch eine etwas ausgefeiltere Übung.
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Mögliche Ursachen
Aber die Angst kann natürlich auch handfeste Ursachen haben. Dann reicht es oft nicht, nur das Angst-Muster zu unterbrechen. In der Regel hat man in der Vergangenheit ein mehr oder weniger gravierendes Trauma erlitten. Meistens ist es ein Entwicklungstrauma. Das geschieht durch anhaltende Verletzungen, die man in der Kindheit und Jugend hinnehmen musste. Häufig wurden einfach wichtige Bedürfnisse nach Aufmerksamkeit oder Anerkennung nicht erfüllt. Immer wiederkommende verbale oder körperliche Gewalt sind leider auch nicht selten. Ein Entwicklungstrauma kann dazu führen, dass man das Selbstvertrauen in zu großem Maße verliert – oder dass man das grundsätzliche Urvertrauen ins Leben nicht ausreichend zur Verfügung hat. Man traut sich sozusagen selbst nicht über den Weg und / oder hält die Welt für einen gefährlichen Ort: Das heißt jederzeit könnte ein Ereignis katastrophischen Ausmaßes geschehen: Ich werde vollständig versagen, krank werden, alles verlieren usw. Die Ängste beziehen sich dann meistens auf die großen Bereiche des Lebens: Krankheit, Wahnsinn, Tod, finanzieller Ruin oder totale Vereinsamung.
Bei einem Schocktrauma, also bei einem einzelnen, verstörenden Ereignis, sind die Folgen meistens spezifischer. Es muss jedoch nicht immer die ganz große Katastrophe sein. Auch kleinere, wenig beachtete oder sogar vollständige vergessene Traumata können unangenehme Ängste nach sich ziehen.
Eine meiner Klientinnen hatte zum Beispiel als kleines Kind miterlebt, wie ein Hund einen Mann in die Hand gebissen hat. Es war keine große Verletzung, aber es hat ziemlich geblutet. Sie hätte nun eine Hunde-Phobie entwickeln können, aber ihre Angst richtete sich auf alles, was mit Blut zu tun hatte. Selbst die Nennung des Wortes „Blut“ hat Angst und Fluchtreflexe ausgelöst. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu verstehen, wie eine Phobie durch ein Trauma entsteht. Die Amygdala merkt sich alles, was nach Gefahr riecht.
Über die Behandlung von solchen Phobien, beziehungsweise Ängsten, mache ich eine eigene Folge.
Neben seelischen Verletzungen gibt es noch weitere Möglichkeiten, wie Ängste sich entwickeln können. Viele Ängste lassen sich auch einfach lerntheoretisch erklären. Da hat man sich zum Beispiel die Phobie von seinem Vater abgeschaut oder die sozialen Ängste der Mutter übernommen, ohne dass man selbst ein Trauma erlitten haben muss.
Du bist nicht du selbst, wenn du Angst hast
Du wirst mir sicherlich zustimmen, wenn ich sage, dass du mehr du selbst bist, wenn du gelassen und in deinem inneren Frieden bist und keine Angst hast. Im Sinne des „Werde der du bist“, wäre es also sinnvoll, die Angst so weit wie möglich einfach loszuwerden. Die biologisch sinnvolle Angst darf ja dableiben – zum Beispiel der Respekt vor zähnefletschenden Hunden oder aggressiven Bankräubern. Aber diese Dinge spielen im Alltag ja kaum eine Rolle.
Es funktioniert interessanterweise in beide Richtungen. Je mehr du der bist, der du in deinem Innersten bist und immer schon warst, umso weniger Angst ist in deinem Leben. Deshalb möchte ich dir empfehlen, genau dafür zu sorgen, dass du dich selbst erkennst und das Leuchten in deinem Inneren mehr und mehr durch die Person, die du geworden bist, hindurchscheint. Anders ausgedrückt: Sorge dich nicht um dich, sondern sorge für dich.
Kurt Tepperwein liebt es, zu sagen: „Es ist doch ganz einfach. Du musst dich nur daran erinnern, wer du in Wahrheit bist.“
Aber der charmante und kluge Herr Tepperwein hat etwas den Blickwinkel von uns Normalsterblichen verloren. So einfach ist es nämlich auch wieder nicht, sich daran zu erinnern. Aber es gibt eine klassische und recht zuverlässige Methode, um diese Erinnerung, beziehungsweise diese Erkenntnis zu erreichen. Und diese Methode nennt sich „Meditation“. Sie ist so wahnsinnig einfach, aber nicht selten ist besonders das Einfache am schwersten zu bewerkstelligen.
Zur Meditation habe ich erst vor Kurzem eine Podcast-Folge gemacht, die ich dir empfehle anzuhören. Es wird aber auch danach noch die eine oder andere Frage offenbleiben.
Übung gegen die Angst
Und nun die etwas ausgefeiltere Übung.
Als Erstes musst du natürlich irgendwie mitbekommen, dass du gerade in Sorge oder in Angst bist.
Der nächste Schritt besteht darin, die Gedanken von den Emotionen zu trennen, indem du den Gedanken ein klares „Stopp!“ entgegenrufst. Das funktioniert meistens deshalb ganz gut, weil ja klar ist, dass weiteres Nachdenken an der Situation in diesem Moment nichts ändert.
Das Dritte ist, dass du dich den Gefühlen in deinem Körper zuwendest. Die Gedanken haben ein bestimmtes körperliches – nicht so schönes – Gefühl ausgelöst. Du brauchst bei der Betrachtung des Gefühls drei Dinge. Das Wichtigste ist, dass du dir völlig im Klaren darüber bist, dass die Gefühle zwar real sind, aber, dass sie nichts über den Wahrheitsgehalt der Angst aussagen, die du fühlen kannst. Die Gefühle spiegeln nur die Qualität der Gedanken wieder, also den Grad der Stressigkeit. Sie haben keine Ahnung davon, ob die Befürchtungen, mit denen du dich gerade beschäftigt hast, wahr sind oder nicht. Das Zweitwichtigste ist, dass du dich nicht in das Gefühl und seine vermeintliche Bedeutung hineinziehen lässt. Steigere dich nicht erneut hinein, sondern nimm nur wahr, wie du dich fühlst. Sei wie ein interessierter, objektiver Naturforscher. Und ebenfalls wichtig ist der Atem. Atme normal weiter – oder so, wie ich es vorhin beschrieben habe: Mit etwas mehr Betonung des Ausatmens.
Der vierte Schritt ist, dass du damit weitermachst und dir zunehmend bewusst wirst, was jetzt, in diesem Moment, deine tatsächliche Wirklichkeit ist. Wende dich nach und nach mit der Wahrnehmung etwas mehr nach außen. Nimm wahr, was um dich herum ist. Was siehst du, was hörst du? Mache dir klar, dass es in diesem Moment kein größeres Problem gibt. Höre auf, negativ über die Zukunft zu spekulieren.
Abschluss
Zum Abschluss noch ein Zitat aus der Bibel, weil es so gut passt: „Sorgt euch also nicht um morgen, denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug eigene Plage.“ (Matthäus 6,35)
Sei also nicht im Morgen, sondern mehr im Heute und grüble nicht über nicht existierende Möglichkeiten.
In dem Bibelzitat kann das Wort „sich sorgen“ – merimnáo – übrigens auch mit „grübeln“ übersetzt werden.
Ich beantworte gern alle Fragen und wünsche dir viel Freude mit deinem zunehmend angstfreien und sorglosen Leben.