Zum Inhalt springen
Startseite » Podcast » Ärger, und wie man damit umgeht

Ärger, und wie man damit umgeht

    Ärger

    Einige Gedanken zum Ärger und wie man damit umgeht. Nicht der einfache, kleine Ärger, sondern der, der den Blutdruck in die Höhe treibt und dich etwas länger als nur einige Minuten begleitet.

    Auch unter: Youtube, Spotify, Apple Podcasts

    Zurück zu allen Podcasts

    Ärger

    Heute geht es um das Thema: Ärger. Dabei geht es nicht um den kleinen, subtilen Ärger. Das ist nur so etwas wie ein leichter Widerstand, der dir dabei hilft, dich abzugrenzen. Hier geht es um den explosiven Ärger, der den Blutdruck in die Höhe schnellen lässt.
    Wir alle sind Experten für Ärger. Jeder von uns kennt ihn, denn jeder ärgert sich von Zeit zu Zeit. Manch einer sogar mehrfach pro Tag. Die Glücklicheren unter uns vielleicht nur ein paar Mal pro Woche. Jedenfalls: Wer sich so intensiv mit einer Sache beschäftigt, den kann man mit Fug und Recht als Kenner der Materie bezeichnen.
    Ich möchte zuerst den Blick auf einige verschiedene Aspekte dieses Phänomens richten und später darauf eingehen, wie du mit Ärger vernünftig umgehst.

    Aspekte des Ärgers

    Bei der Untersuchung meines eigenen Ärgers habe ich festgestellt, dass ich mich in den seltensten Fällen über Sachen oder Dinge ärgere. Ein Beispiel: Wenn dein Auto am Morgen nicht anspringt, weil irgendein technischer Defekt vorliegt, dann kannst du dich schon ärgern. Aber es ist in der Regel kein anhaltender Ärger. Man findet eine andere Lösung, um zur Arbeit zu kommen. Klar, es ist ärgerlich genug, dass man sich darum kümmern und die Werkstatt anrufen muss. Aber: Wenn man sich so richtig über die alte Mistkarre ärgern möchte, muss man sie erst personifizieren. Dann würde man sie beschimpfen, fast so, als könnte sie einen hören und verstehen. Manch einer wird auch dramatisch und klagt sein Schicksal an. Wenn man das Auto aber nur als defektes Gerät ansieht, ist der Ärger viel milder. Man wird sicher irgendeinen Workaround finden.
    Natürlich kann man davon schlechte Laune bekommen. Aber wenn man sich richtig ärgern möchte, braucht man einen anderen Menschen. Denn Menschen sind problematisch. Oder halten wir sie nur dafür?
    Im letzten Podcast habe ich über den inneren Kritiker gesprochen, der dich selbst abwertet. Hier geht es um die Verurteilung des Verhaltens oder des Soseins von anderen Leuten.

    Wirkung auf den Verstand

    Wenn er eine gewisse Intensität erreicht, passiert etwas, was der Ärger mit der Angst gemeinsam hat: Es setzt nämlich der Verstand aus. Das heißt: Man kann nicht klar denken, die Urteilskraft ist eingetrübt.
    Mir ging es schon oft so, dass ich dann aus dem Ärger heraus Dinge gesagt oder getan habe, die ich später bereut habe. Es würde mich wundern, wenn dir das noch nie passiert ist.

    Ärger ist schnell

    Es gibt den sich langsam aufbauenden Ärger. Zuerst hat man gar nicht registriert, was der andere gerade für einen Unfug gesagt oder angestellt hat. Und erst so nach und nach dämmert es einem … und dann fängt man an, sich immer mehr und mehr darüber zu ärgern.
    Das ist aber eher die Ausnahme, meine ich. In der Regel kommt der Ärger plötzlich und schnell, sobald sich jemand nach deinen Vorstellungen zum Beispiel rücksichtslos, respektlos oder dergleichen verhält. „Das darf der nicht!“, „Wie redet die mit mir?“, „Wieso kann der nicht besser aufpassen?!“

    Ärger ist ansteckend

    Viele Emotionen sind ansteckend, einige mehr, andere weniger. Ärger gehört unter bestimmten Bedingungen zu den sehr ansteckenden Gefühlsregungen. Wenn jemand mit seinem Ärger auf dich zukommt, weil er sich über dich ärgert, dann ist es völlig normal, dass du mit Abwehr reagierst. Dann ärgerst du dich ebenfalls sofort. „Was ärgert der sich über mich? Ich habe nichts Falsches gemacht, er versteht mich überhaupt nicht.“ Oder: „Die ist so selbstgerecht. Sie ist doch selber nicht besser, sogar noch viel schlimmer. Sie sieht den Balken in ihrem eigenen Auge nicht.“ Und so weiter. Und schon hat man sich anstecken lassen.
    Etwas anders sieht es aus, wenn jemand auf dich zukommt, und bei dir seinen Ärger über eine dritte Person ablädt, zum Beispiel über den ungerechten Chef, den dreisten Vermieter, den rücksichtslosen Nachbarn oder die verständnislose Ehefrau. Dann wirst du dich eher nicht so häufig anstecken lassen, sondern dich vielleicht solidarisieren oder den anderen zu beruhigen versuchen. Wenn es dich aber an ähnliche, eigene Erfahrungen erinnert, kannst du auch einen alten Groll wieder aufkochen lassen.
    Viel ansteckender ist der Ärger, der sich gegen dich richtet, auch dann, wenn er nur subtil oder passiv-aggressiv ausgedrückt wird. Je sensibler du bist, umso schneller spürst du das, und dann wirst du entsprechend reagieren.

    Man kann sich leicht vorstellen, wie es auf diese Weise zu einer Eskalation kommt. Der Verstand ist eingetrübt. Man wird mit stummen oder lauten Vorwürfen konfrontiert und schießt zurück. So steckt man sich gegenseitig immer wieder neu an.

    Dauerhafter Ärger: Groll

    Ein weiterer Aspekt ist die zeitliche Ausdehnung des Ärgers. Wenn ein bestimmter Ärger einen ganz besonderen Nerv trifft, dann geschieht es leicht, dass das betreffende Thema zu einer Art Leitmotiv des Lebens wird. Vielleicht kennst du auch Leute, die immer wieder dieselbe Geschichte erzählen: wie sie damals von jemandem betrogen wurden oder ihnen ein anderes Unrecht widerfahren ist. Das Leitmotiv kann man dann mit einem „d“ schreiben, ein Motiv des Leidens. Das nennt man dann – Groll.
    Es geht mir hier nicht darum, ob das erfahrene Unrecht wirklich grausam war oder oder ob die Verletzung vernachlässigbar ist. Es geht um das persönliche Erleben. Denn wenn man am Groll festhält, lässt man es zu, dass die erfahrene Entwertung (oder was immer es war) immer und immer wieder wiederholt wird. Und das ist dann letztendlich etwas, das man sich selbst antut.
    Vor langer Zeit habe ich in einer Klosterbibliothek etwas über christliche Mystik gelesen. Leider erinnere ich mich nicht mehr an den genauen Titel. Darin wurde eine sehr passende Metapher verwendet, die auf den Groll zutrifft: Man hat den Teufel in sein Herz gelassen. Und wenn er einmal drin ist, ist es schwierig, ihn wieder loszuwerden.

    Sinn oder Funktion des Ärgers

    Die Frage ist, welchen Sinn der Ärger hat. Oder, statt von Sinn zu sprechen, könnte man sich fragen, welche Funktion er erfüllt.
    Als Erstes hatten wir schon die Selbst-Abgrenzung. Ich schütze und bewahre mein Selbstbild vor der Beurteilung und Verurteilung durch andere. Das Motto lautet beim starken Ärger: „Angriff ist die beste Verteidigung.“ Das klingt zwar berechtigt und sinnvoll, die große Gefahr liegt aber darin, dass man sich durch einen unverhältnismäßig brutalen Gegenangriff selbst ins Unrecht setzt und sich damit wiederum angreifbar macht.
    Also könnte ich mir vorstellen, dass es eventuell sinnvollere Möglichkeiten gibt, dieselbe Funktion zu erfüllen.
    Bei der Frage nach dem Sinn kann man sich auch fragen, ob man auch ganz ohne diesen Ärger leben könnte. Wenn man sozusagen genetisch behindert wäre und aufgrund dieser Behinderung völlig unfähig wäre, sich zu ärgern. Wie sähe dann dein Leben aus?

    Umgang mit Ärger

    Wie geht man jetzt mit dem Ärger um?
    Mir ist wichtig, zu betonen, dass du – im Kontext des „Werde, der du bist“ – nicht identisch bist mit dem, was da hochkommt. Im Ärger zeigt sich nicht der, der du bist, sondern vor allem der, der du geworden bist. Also deine Konditionierungen.

    Erster Schritt

    Der erste Schritt besteht darin, dass du überhaupt erst einmal den Ärger als solchen wahrnimmst. Man kann ihn ja körperlich spüren. Der Kopf wird heiß, der Magen krampft sich zusammen, der Blutdruck steigt, der Hals fühlt sich geschwollen an. Man sagt ja auch: „Ich hab so‘nen Hals!“ Die Puls nimmt zu – und so weiter. Es wird Adrenalin ausgeschüttet, und der Körper bereitet sich auf den Angriff vor. Das ist etwas anders als bei der Angst, wo er sich auf die Flucht oder die Verteidigung vorbereitet.
    Parallel beginnt der Kopf, eine Geschichte zu erzählen: „Der andere ist respektlos, so sollte er nicht sein. Das darf ich mir nicht gefallen lassen. Was für eine Frechheit, einfach hier hereinzuplatzen und meine Grenzen zu überschreiten! Ich habe das Recht dazu, hier einen Gegenangriff zu starten.“
    Diesen meistens sehr schnellen Prozess muss man also erst einmal zur Kenntnis nehmen und sich bewusst machen. Ohne Bewusstsein werden nur deine Konditionierungen aktiviert, und dann eskaliert der Streit automatisch wie ein gut geölter Mechanismus.
    Um das Vorgehen auszuprobieren: Vielleicht hast du aktuell einen Ärger, mit dem du dich zurzeit beschäftigst. Dann erinnere dich bitte mal an das, was dir da widerfahren ist.

    Zweiter Schritt

    Im zweiten Schritt nach der Wahrnehmung des Ärgergefühls mache dir die folgende Tatsache bewusst: „Den Ärger, den ich spüre, produziert mein eigener Körper.“ Es kann ja niemand anderes tun. Die Ausschüttung von Adrenalin, Erhöhung des Pulses und des Blutdrucks kann nicht von außen geschehen. Und dadurch, dass man sich das eingesteht: „Mein Körper produziert jetzt ein Gefühl von Ärger“, habe ich schon einen gewissen Abstand. Es ist nicht mehr ich, und es ist auch nicht der andere, sondern mein Körper macht das. Es fühlt sich immer noch unangenehm an, und am liebsten würde man natürlich dem anderen die Schuld dafür geben, dass ich mich jetzt so schlecht fühle.
    Es kann sein, dass der andere sich wirklich böse verhalten hat, darum geht es aber nicht. Es geht darum, wie ich jetzt mit meinem eigenen Zustand umgehe. Und durch den inneren Abstand zu mir selbst und zu der Situation, hat der Verstand die Chance, sich wieder einzuschalten. Damit sinkt die Gefahr, dass ich mich wie vom Ärger getrieben verhalte.

    Dritter Schritt

    Der dritte Schritt besteht darin, die Impulse, die sich ungefragt aufdrängen, zu kontrollieren. Im Wesentlichen besteht die Kontrolle darin, dass man jetzt erst einmal weder handelt, noch etwas sagt. Ich nenne es „Innehalten“. Das heißt: Nicht herumbrüllen, keine böse E-Mail an den Chef schreiben, nicht sofort kündigen und auch keine Schlägerei anfangen.
    Impulse zu kontrollieren heißt zweitens, die Impulse, die da hochkommen, wahrzunehmen und zu beobachten. Z.B. „Ich würde ihm am liebsten die Gurgel umdrehen“ oder dergleichen. Beobachten, nicht sich hineinsteigern und vor allem: weiteratmen. Das bedeutet: Nicht unter den Teppich kehren und verdrängen, aber den Ärger auch nicht ausagieren. Nimm dich selbst und deine eigenen Impulse liebevoll, humorvoll und interessiert wahr

    Vierter Schritt

    Der vierte Schritt besteht im Loslassen. Das geht erst, wenn der Ärger nicht mehr frisch ist. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Es können zwei Stunden, aber auch ein ganzer Tag sein, jedoch am besten nicht mehr.

    Das Loslassen besteht darin, dass man sich bewusst für neue Gedankengänge entscheidet, sobald die ärgerauslösende Geschichte sich wieder in den Vordergrund drängt. Also ganz bewusst den Pfad dorthin nicht einschlagen. Dass der Impuls immer wieder in diese Richtung drängt, ist normal. Aber wenn du einige Male bewusst im Kopf das Thema änderst, wird der alte Denkpfad immer seltener eingeschlagen. Folgende Vorschläge, statt: „Sie hat mich vor der ganzen Mannschaft angeschnauzt“ (was die Wahrheit ist), denkst du dann: „Sie hat eine wirklich kräftige Stimme, tolle Frau!“ Natürlich musst du für dich etwas finden, was auch passt und sich stimmig anfühlt. Wenn du es nicht schaffst, das zu meinen, was du denkst, dann denke lieber an etwas völlig anderes, z.B. die Planung für das nächste Wochenende.

    Fünfter (und letzter) Schritt

    Der fünfte Schritt besteht darin, dich hin und wieder selbst zu testen, ob du noch im Ärger bist oder es schon überwunden hast. Der Test geht so, dass du überprüfst, wie weit dein Ärger bereits abgeklungen ist:
    Wünsche dem anderen in Gedanken von Herzen einen Sechser im Lotto oder eine erfüllende Liebesbeziehung. Wünsche ihm eine unzerstörbare Gesundheit. Wenn das nicht geht, versuche, ob du wenigstens Mitgefühl mit dem anderen empfinden kannst. (Echtes Mitgefühl, kein arrogantes, huldvolles Mitleid). Falls das alles noch nicht funktioniert, ist der Ärger noch nicht überwunden. Versuche es am nächsten Tag noch einmal. Wichtig ist, dass du es ernst damit meinst.
    Dann, und erst dann, kannst du aus dieser freien und gutwilligen Haltung heraus mit dem anderen über das Thema sprechen, um es zu klären – falls es dann noch nötig ist. Aber sprich dann nicht über Vorwürfe oder deinen Ärger. Allein schon das Wort „Ärger“ kann als Vorwurf aufgefasst werden.

    Und sollte das alles überhaupt nicht gehen, dann höre dir meinen Podcast zur Selbstliebe an. Der ist bereits geplant, und er wird in den nächsten Wochen online gehen.