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Geduld und Ungeduld

    Geduld und Ungeduld

    Geduld und Ungeduld. Was ist das, und warum ist man ungeduldig, wenn man geduldig zu sein glaubt. Geduld ist, wenn sie echt ist, ein Tor zur spirituellen Entwicklung.

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    Geduld und Ungeduld

    Es ist fast egal, wen ich danach frage: Fast jeder bestätigt mir, dass Ungeduld für ihn ein Problem ist und er gern geduldiger wäre. Deshalb habe ich mir die Frage gestellt, was „Geduld“ bedeutet im Zusammenhang mit dem „Werde, der du bist“.
    Wenn du deine eigene Ungeduld ein bisschen besser verstehen möchtest, und etwas mehr Geduld haben möchtest, höre dir die folgenden Gedanken an.

    Ist Geduld „natürlich“?

    Jemand beklagte einmal mir gegenüber seine eigene Ruhelosigkeit und meinte: „Ich kann daran nichts ändern. Ich bin von Natur aus ungeduldig.“
    Zuerst habe ich widersprochen und gesagt, dass es so etwas ja nicht geben könnte. In der Natur kommt Ungeduld in der Form, wie wir sie bei uns kennen, nicht vor. Bei Tieren gibt es die Gier nach Nahrung oder nach sexueller Erfüllung. Aber Ungeduld? Heute glaube ich, dass Ungeduld durchaus auf natürliche Weise auftritt. Damit ein Tier ungeduldig wird, müsste man es erst einmal dazu bringen, sich in einer Schlange anzustellen, auf einen Bus oder auf eine Nachricht zu warten. Ein Hund kann schon sehr ungeduldig werden, wenn er sein Frauchen erwartet, oder ist es nur die Vorfreude? Der Hund kann uns von seinem subjektiven Erleben ja leider nicht erzählen. Vorfreude ist vielleicht eine Art von „Getriebenheit“. Aber auch wenn die Ungeduld schon etwas Natürliches ist, ist sie vor allem die Folge von etwas Unnatürlichem. Ich weiß, dass es immer schwierig ist, auf diese Weise zu argumentieren: „Dieses ist natürlich und jenes ist unnatürlich.“ So, als wäre das „Natürliche“ das „Eigentliche“ oder „Richtige“.
    Deswegen möchte ich es etwas anders beschreiben. Wenn du es genau betrachtest, wirst du vor allem in Situationen ungeduldig, in denen du dich diszipliniert verhältst, weil du mehr oder weniger dressiert bist. Eigentlich möchtest du dann nicht da sein, wo du in diesem Moment bist, sondern woanders und das möglichst schnell. Etwas soll nicht so bleiben, wie es ist, sondern es soll weitergehen.

    Beispiele

    Meine Lieblingsbeispiele sind immer die Schlange vor der Supermarktkasse oder der Verkehrsstau. An der Kasse will man einfach schnell bezahlen und raus. Im Stau will man weiterfahren, unterwegs sein.
    Die treibende Kraft dabei ist der Wille, der sich an deinem persönlichen Plan orientiert. Du hast diesen Plan in deinem Kopf. Du willst da oder dort hin, aber jetzt wirst du aufgehalten – es gibt eine Schlange, einen Stau, eine Verspätung, eine Verlangsamung. Dann meldet sich die Ungeduld als ein unangenehmes Gefühl von: „Ich habe keine Zeit. Ich will weg hier.“
    Eine andere Form von Ungeduld entsteht, wenn du zum Beispiel jemandem dabei zuschaust, wie er versucht, eine Schraube loszudrehen und sich maximal ungeschickt dabei anstellt oder sich vergebens bemüht, sein Auto einzuparken. Oder wenn jemand eine Geschichte umständlich erzählt, ohne je auf den Punkt zu kommen. Du möchtest dringend eingreifen, auf die Tube drücken, den Vorgang beschleunigen. Du hältst dich eine Weile zurück – bis du es nicht mehr aushältst.

    Innerer Frieden, Pläne und Langmut

    Aber das Gefühl der Ungeduld ist unangenehm. Deshalb möchtest du eigentlich lieber geduldig sein. In deinem Innersten weißt du, dass du lieber nicht so wärst, dass du lieber gelassen und im Frieden mit der Gegenwart wärst.
    Ich behaupte, dass du, wenn du ungeduldig bist, weiter weg von dem bist, „der du bist“ – weiter, als wenn du in deinem inneren Frieden bist. Das Gefühl von Ungeduld – dieses Getriebensein – ist nur das Symptom für etwas anderes. Denn in dem Moment, in dem du woanders sein möchtest, als du bist, bist du mehr mit deinem Plan identifiziert als mit dem gegenwärtigen Moment.
    Es ist selbstverständlich vollkommen gesund, einen Plan zu haben. Aber in dem Moment bist du weiter weg von dir und näher dran an Ideen und damit an gedanklichen Konstrukten, wie etwas sein sollte, aber nicht ist. Diese gedanklichen Konstrukte können sich um das drehen, was du tun möchtest. Aber sie können auch Vergnügen und Unterhaltung zum Inhalt haben. In dem Zusammenhang ist das etwas veraltete Wort „Kurzweil“ interessant.
    Ein anderes – ebenfalls leicht angestaubtes – Wort für „Geduld“ ist im Gegensatz zur Kurzweil der „Langmut“. „Lang“ bezieht sich hier auf die zeitliche Ausdehnung. Und „-mut“ als Endsilbe bezeichnet fast immer die innere Haltung oder Gestimmtheit. … Z.B. „Demut“: Wenn ich demütig bin, dann bin ich in einer inneren Haltung, in der ich mich und mein Ego zurücknehme. Hochmut ist die innere Haltung, in der ich mich hoch über andere stelle. Im schönen Namen „Hartmut“ wird ein Mensch benannt, dessen Gestimmtheit aus dem Herzen kommt – und so weiter. Der Langmut ist also die Haltung, in der ich mir selbst und dem anderen einfach die Zeit gebe, die nötig ist, um die aktuelle Tätigkeit zu Ende zu führen.

    Kurzweil

    Das allgemeine Streben der Menschen geht aber meistens in Richtung Kurzweil, also hin auf einen Zustand, in dem mir die Weile, also die Zeitdauer, kurz vorkommt. Wenn du dich gut unterhalten fühlst, wenn du Spaß hast, dann ist Action angesagt, dann ist die Geschwindigkeit hoch, und das Erleben besteht aus einem schnellen Wechsel von Reizen. Der Witz dabei ist, dass es uns offenbar mehr Freude bereitet, wenn die Zeit schnell vorbeigeht, als wenn wir viel Zeit haben. Das steht etwas im Widerspruch zu der meistens bitter gemeinten Klage: „Ich. habe. keine. Zeit.“ Es scheint fast so, dass die meisten von uns keine Zeit haben und eigentlich auch keine Zeit haben wollen.
    Vielleicht gehörst du ja auch zu denen, die langsam gesprochene Podcasts wie diesen hier, eher mal in anderthalbfacher oder doppelter Geschwindigkeit anhören. (Zwinkersmiley)
    Ungeduld kann also automatisch dann entstehen, wenn du davon abgehalten wirst, etwas zu erleben, von dem du dir mehr Kurzweil, mehr Spaß, erwartest.

    Der gegenwärtige Moment und Gelassenheit

    In jedem Fall bist du ungeduldig, weil du aus dem einen oder anderen Grund nicht einverstanden bist mit der jetzigen Situation. Das bedeutet, dass du nicht einverstanden bist mit der Realität. Denn unsere Realität besteht ausschließlich aus der Gegenwart. Dieser Widerstand bedeutet, dass du in einer Art kleinem Kampfmodus bist, also mehr im Ärger als im Sein. Zum Thema „Ärger“ kannst du dir die gleichnamige Episode meines Podcasts anhören. Ärger ist eine Ego-Funktion zur Abgrenzung nach außen. Du bist in der Ungeduld irgendwo – im Ärger, in der Zukunft, in der Wahnvorstellung, keine Zeit zu haben oder dass der kommende Moment besser sei als dieser hier … Aber du bist dann nicht so sehr verbunden mit dem, der du in Wahrheit bist.
    Du merkst vielleicht schon, dass die Geduld viel mehr ist als nur Gelassenheit. Geduld ist ein Tor zu spiritueller Entwicklung – und ein Zeichen für gesteigerte Bewusstheit. Letzteres stimmt natürlich nicht immer, denn manch einer scheint nur geduldig zu sein, während er in Wahrheit einem Tagtraum nachhängt. Aber das nur nebenbei.

    Gegenprobe

    Wenn du dir noch im Unklaren bist, kannst du die Gegenprobe machen. Geh mal bitte für einen Moment in eine Situation, in der du typischerweise ungeduldig bist …
    Erinnere dich an die Gefühle, die mit der Ungeduld einhergehen. … …
    Und jetzt drehe den Spieß einmal um und tue so, als wärst du total einverstanden mit der Situation. Immerhin hast du dich vermutlich selbst aus guten Gründen in diese Situation gebracht. Alles ist in absoluter Ordnung. Genau die passende Temperatur, genau die passende Geräuschkulisse oder … Stille. „Passend“ heißt nicht unbedingt, dass es sich gut anfühlt, sondern nur, dass es einfach ist, wie es ist, und zur Situation passt. Der Geruch in der Luft, dein eigener Zustand, z.B. dein aktuelles Gefühl von Hunger oder Müdigkeit …
    Tue so, als wäre auch diese Zeit Teil deines Lebens und versuche, sie irgendwie zu genießen. Schaue, ob du interessante oder schöne Dinge, Tiere oder Menschen wahrnehmen kannst.
    Vielleicht merkst du, dass du gleich viel mehr in dir selbst ruhst. Vielleicht strahlst du genau das aus, was geduldige Menschen ausstrahlen. Diese Gelassenheit vielleicht, von der ich schon gesprochen habe. Und dann beantworte dir die Frage, ob du jetzt etwas näher an dem dran bist, was oder wer du in deinem Innersten bist. Jetzt, wo du im Einklang mit der Realität bist. …

    Bewusst wahrnehmen

    Mit Ungeduld ist hier nur der temporäre Zustand gemeint. Wenn du hin und wieder ungeduldig bist, heißt das natürlich nicht, dass du grundsätzlich nicht der bist, der du bist. Wir alle haben unsere kleinen Aussetzer, und das Ego überfällt uns hinterrücks immer wieder einmal selbst dann, wenn wir schon spirituell erwacht sind. Es ist keine Sünde, ungeduldig zu sein. Jeder erlebt solche Momente. Ich habe Ungeduld auch schon bei dem einen oder anderen großen Meister beobachtet.
    Mein Vorschlag lautet, die eigene Ungeduld einfach öfters bewusst wahrzunehmen, ohne sich deshalb gleich zur Gelassenheit zu zwingen.
    Wenn du also geduldiger mit dir selbst und anderen werden möchtest, gehe so bewusst und ehrlich wie möglich mit deiner Ungeduld um. Erlaube sie dir, wenn sie schon da ist. Mache dir aber klar, dass dieses Getriebensein, das du dann empfindest, auch eine Art Flucht vor dir selbst darstellen kann.

    Übung in Geduld

    Wie kannst du dich denn jetzt in Geduld üben?
    Ich glaube, dass man eigentlich gar nichts Besonderes machen muss, weil man ja von allein genug Übungsmöglichkeiten hat. Du wirst dich immer wieder gedulden müssen. Die Sache ist nur die: Immer wenn du dich „geduldig“ fühlst, bist du in Wahrheit ungeduldig, denn du fühlst dich zur Untätigkeit verurteilt.
    Von echter, natürlicher Geduld fühlt man hingegen nichts.
    „Ich übe mich in Geduld“ bedeutet also eigentlich: „Ich bin ungeduldig.“
    Wenn du aber lernen willst, eine nahezu engelsgleiche Geduld zu haben, von der du nichts merkst, dann musst du lernen, den gegenwärtigen Moment zu mögen. Dann geschehen die Dinge, ohne dass du dich beschwerst, ohne deine Verurteilungen und ohne dein Bedürfnis, schnell hier wegzukommen. Diese Momente werden dann zu dem wertvollen Teil deines Lebens, der sie sind. Wenn du die Gegenwart nur „aushalten“ musst, also „erduldest“, dann verstärkst du dein eigenes Muster.
    Loslassen wäre eine gute Idee, ist aber als Idee etwas abstrakt. Damit die Geduld nicht nur ein Loslassen ist, könntest du auch ins Genießen gehen.
    Das heißt: Suche nach angenehmen oder interessanten Sinneseindrücken, während du wartest und untätig zuschaust. Erfreue dich an der Experimentierfreude oder an der Sorgfalt des anderen (der dich aufhält). Bedanke dich für die Übungsmöglichkeit. Freue dich darüber, mal etwas Zeit zu haben und dem anderen seine Zeit zu lassen.
    Und dann kannst du dich wieder selbst testen und mal bei Gelegenheit die langsamere Schlange auswählen. Denn vielleicht tut es ja gut, 30 Sekunden mehr Zeit mit dir selbst zu verbringen. Betrachte es als einen bescheidenen Urlaub von der alltäglichen Hetze. Denn sein du musst ja sowieso irgendwo.
    Lothar Seiwert hat sein Buch über Zeitmanagement mit den Sätzen betitelt: „Wenn du es eilig hast, gehe langsam. Und wenn du es noch eiliger hast, mache einen Umweg.“

    Schluss

    Eine abschließende, philosophische Anmerkung: So etwas wie Geduld findet sich im Wuwei. Es ist ein Prinzip des Daoismus. Es wird meistens mit „Nicht-Handeln“ oder „Nicht-Tun“ übersetzt. Treffender finde ich eine Übersetzung als „Nicht-Eingreifen“. Das Wuwei lässt der Weisheit des Lebens freien Lauf, ohne sich Einmischung. Wo es kein Ertragen oder Erdulden gibt, da gibt es nur das Durchleben von Prozessen.
    Ich wünsche dir viel Freude auf deinem langsamen Umweg zu dir selbst! Und bis zum nächsten Mal!